Die E5 Alpenüberquerung eine Art Therapie – Interview mit Wouter
Gute Neuigkeiten! Kürzlich habe ich auf unserer Facebookseite gefragt, ob jemand einen Erfahrungsbericht über seine E5 Alpenüberquerung bereitstellen kann. Kurz darauf hat sich Wouter bei mir gemeldet und ich habe mit ihm ein Interview über seine E5 Wanderung geführt. Nun freue ich mich schon, dieses hier veröffentlichen zu dürfen. Alle weiteren Interviews zur E5 Alpenüberquerung findet ihr im Menüpunkt Erfahrungsberichte. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Wouter und hoffe, dass das Interview dem einen oder anderen einen besseren Einblick geben kann.
Wenn du auch Interesse hast deine Erfahrungen hier zu teilen, melde dich bitte unter info@fernwanderweg-oberstdorf-meran.de.
Über dich: Wer bist du? Woher kommst du? Warum hast du dich für die Alpenüberquerung auf dem E5 entschieden?
„Ich bin Wouter, bin 40 Jahre alt und komme aus dem flämischen Teil von Belgien. Ich bin verheiratet und bin stolzer Vater von drei Kindern. Nachdem ich im Sommer 2016 mit meiner ältesten Tochter den Panoramaweg nach Vent gelaufen bin (nachdem wir auf dem Gletscher den Sonnenaufgang genossen haben) und die ZDF-Sendung „ Im Rausch der Höhe – zu Fuß über die Alpen“ gesehen habe, wusste ich, dass ich im nächsten Jahr, noch kurz vor meinem 40. Geburtstag, die Alpen überqueren wollte.“
Allgemeines zu deiner Alpenüberquerung: Wie hast du dich vorbereitet? Wann und mit wem bist du gestartet? Welche Route und Etappen-Einteilung hast du gewählt?
„Ab und zu war ich mal wandern in meiner Heimat und habe ich mich im lokalen Fitnessstudio „fit“ gemacht für diese Reise. Ein Paar Mal war ich auch mit einem mit Wasserflaschen gefüllten Rucksack und Wanderstöcken unterwegs. Da haben die Leute mich bei uns im Flachland doch komisch angeguckt. Aber durch Zeitmangel war die Vorbereitung nicht so wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich habe lange überlegt, die Reise allein zu machen, aber habe mich – unter Druck meiner Frau – dann doch entschieden, sie mit einer Bergschule zu machen. Ich habe mir die „längere“ Tour ausgesucht mit der Besteigung des Similauns. Im Nachhinein war das die beste Entscheidung.“
Der Anfang der Wanderung: Wie bist du am Beginn mit den langen Etappen und dem schweren Rucksack zurechtgekommen? Gab es am Anfang schon irgendwelche Schwierigkeiten?
„Der Rucksack hat mich eigentlich nicht großartig gestört. Ich hatte mich wirklich auf das notwendigste beschränkt und das Gewicht inkl. Rucksack lag sicherlich unter 10 kg. Ab und zu konnten wir den Rucksack mit der Materialseilbahn mitgeben. Am Anfang hatte ich keine Schwierigkeiten, nur der Weg zur Braunschweiger Hütte war ziemlich schwer für mich. Die ersten Nächte habe ich schlecht geschlafen, und das habe ich da bei der Besteigung dann doch gemerkt. Ich kam den Berg noch hoch, aber ziemlich langsam.“
Die Hütten und Unterkünfte: Wo hast du genächtigt und wie hast du die Übernachtungsmöglichkeiten wahrgenommen?
„Wir haben in den „klassischen E5-Hütten“ übernachtet: Kemptner Hütte, Memminger Hütte, Galfnun Alm, Braunschweiger Hütte und die Similaun Hütte. In Vent haben wir im Hotel geschlafen, genauso wie in Meran. Die Hotels waren im Vergleich zu den Hütten eher langweilig. Man freut sich über das längere Duschen, aber merkt dann aber auch, dass es dann doch überbewertet wird (nicht das Duschen, aber das lange Duschen). Übernachten in Hütten fand ich spannend, allerdings kam ich mit der Hüttenruhe um 22h nicht so gut zurecht und hatte ich Probleme einzuschlafen. Außerdem hat mich der Hüttenschlafsack auch genervt. Schnarcher gab es in unserer Gruppe zum Glück nicht.
Die gemütlichste Hütte war auf jeden Fall die Galfnun Alm. Diese Alm liegt in fantastischer Aussichtslage oberhalb der Waldgrenze. Sie ist schon richtig alt und sehr urig eingerichtet. Alles hat da einfach gepasst: Essen, schlafen, duschen, …
Das schlechteste Essen gab es allerdings in der Memminger Hütte…“
Mitglied im Alpenverein: Bist du Mitglied beim DAV? Wenn ja: warum? Wenn nein: warum nicht?
„Nein, noch nicht. Werde ich sicherlich machen, wenn ich auf eigener Faust Touren machen werde. Mit der Bergschule war das nicht notwendig.“
Das Wetter: Regen, Schnee oder Nebel können die Wanderung schnell gefährlich und unangenehm machen. Hattest du Glück mit dem Wetter oder gab es eine Situation wo du wegen des Wetters lieber umgekehrt wärst?
„Wir hatten Megaglück mit dem Wetter. Es hat mal geregnet, aber immer dann, wenn wir in der Hütte oder in einem Imbiss waren. Sonst hat immer die Sonne geschienen und mussten wir uns gut einkremen. Manchmal war es auch zu warm, und fing man sofort an zu schwitzen, aber wir waren uns immer davon bewusst, dass dieses Sommerwetter viel besser war als alles andere.“
Die allgemeine Stimmung: Wie hast du die anderen Wanderer auf dem Weg wahrgenommen? Waren Hütten, Taxis und der Weg allgemein überfüllt?
„Da wir mit einer Gruppe unterwegs waren, war der Kontakt zu anderen Wanderern außerhalb der Gruppe ziemlich beschränkt. Mich würde es mal interessieren, wie es so ist, alleine die Reise zu machen und wie es wäre, so andere Menschen kennenzulernen. Aber meine Mitstreiter waren alle super drauf, und wir hatten eine wunderschöne Zeit. Die Gruppe hat einfach gepasst: Jung und Alt, aus verschiedenen Regionen, aber alle auf einer Wellenlänge. Auch unser Bergführer war ein toller Typ, der die Gruppe gut geführt und zusammengehalten hat.“
Die Motivation: Wie hat sich diese im Laufe der Wanderung entwickelt? Gabe es einen Punkt wo du an einen frühzeitigen Abbruch gedacht hast?
„An einem Abbruch habe ich nicht eine Sekunde gedacht. Auch nicht wo es mal schwerer war und ich einen Tiefpunkt hatte auf dem Weg zur Braunschweiger Hütte. Die Reise war für mich auch eine Art Therapie. Auch wenn es mal schwierig wird, macht man weiter, weil es nicht anders geht, weil es muss. Der einzige Weg ist „nach oben“.“
Schwierige Passagen: Gab es eine besonders schwierige Passage für dich? Wenn ja: Wie hast du diese gemeistert?
„Die Besteigung des Similauns war vielleicht nicht die schwierigste, aber sicherlich eine Besteigung der besonderen Art. Angeschnallt hinter einander den Berg hochlaufen und man hat kaum die Möglichkeit mit den anderen zu sprechen. Dadurch konnte man sich komplett auf sich selbst konzentrieren: auf jeden Schritt, auf jeden Atemzug. Die Natur genießen und nach oben schauen, ob wir fast da sind und das Ziel erreicht haben. Denn wenn man ein bestimmtes Ziel vor Augen hat, muss man sich „nur“ anstrengen und durchhalten, um es zu schaffen. Dann schafft man (fast) alles.“
Rückblickend: Wie hat dir die Alpenüberquerung allgemein gefallen? Was würdest du beim nächsten Mal anders machen? Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben? Wie hat sich dieser etwas andere Urlaub auf dich ausgewirkt?
„Diese Reise hat mir Kraft gegeben. Ohne sie hätte ich manche Situationen in den darauffolgenden Wochen nicht so leicht geschafft. Die Reise war nicht nur eine Reise. Sie war auch eine Art Therapie. Seit der Reise kann ich die unwichtigen Dinge des Lebens viel besser von den wirklich wichtigen Sachen unterscheiden. Relativieren nennt man das. Das habe ich hier aufs Neue gelernt.
Neulich gab es im Fernsehen ein Programm, in der eine Frau den Wunsch äußerte, nicht jeden Tag mehr so viele Entscheidungen treffen zu müssen (was essen wir, welchen Joghurt kaufen wir ein, gehen wir noch ins Kino oder treffen wir uns mit Freunden, …). Diese vielen Entscheidungen, jeden Tag aufs Neue, überlasteten sie und sie wünschte sich, mal ohne Entscheidungen leben zu können. Nur für eine kurze Zeit. Sie machte dabei den – wie sie selbst sagte – komischen Vergleich, mit einem Gefängnisaufenthalt. Da ist alles geregelt, vom Frühstück bis zum Abendessen, ein genauer Zeitplan, den man nicht durchbrechen darf. Der Vergleich war seltsam, der Gedanke aber überhaupt nicht. Und auch hier musste ich an unsere Alpenüberquerung denken. Eine Woche lang nichts entscheiden zu müssen. Um 8 Uhr gehen wir los, da machen wir Pause, um 22 Uhr geht’s ins Bett. Nur die Getränke, die konnte man sich selbst aussuchen. Eine Woche nichts entscheiden zu müssen, eine Woche geistige Ruhe, … Nur gucken, ob der Rucksack gut gepackt ist, ob und unter welchen Umständen man duschen kann, sich über einen Mülleimer im Zimmer freuen, die herrlichen Alpenlandschaften genießen, manchmal am Ende seiner Kräfte einen eiskalten Schluck Bergwasser trinken, neue Leute und Geschichten kennenlernen, Grenzen verlegen, auf neue Freundschaften anstoßen, neue Erfolgserlebnisse, …“
Dein Meinung: Würdest du die E5 Alpenüberquerung weiterempfehlen?
„Auf jeden Fall!!! Wenn man diese Reise mit der richtigen Motivation startet, wird es sowieso ein Supererlebnis.“